(Foto: Shirley-Visions of Reality von Gustav Deutsch) 

 

 

Ein paar letzte Gedanken zu Berlinale, insbesondere des Internationalen Forums

und des Kinos im allgemeinen

 

 

Immerhin war meine 27. Berlinale und die ersten 10 Jahre von 1987 bis 1997 war sie für mich so etwas wie ein Rückzug von der traurigen Kinorealität in Deutschland. Es ging mir immer darum Filme zu sehen, die kaum oder überhaupt nicht in die Kinos kommen.

Solche Filme kann man zwar auch heute noch finden, doch das Besondere war - damals konnte man die Filme in richtigen Kinos sehen, unter anderem in dem im Zoo-Palast ( der umgebaut wird und angeblich dem Festival wieder zur Verfügung stehen soll), dem Royal-Palast mit der grössten gewölbten Leinwand der Welt und dem wunderbaren Gloria, das Ende der 80er Jahre modernisiert und nur wenige Jahre später abgerissen wurde. Der Royal Palast mit seiner über 400 Quadratmeter grossen Leinwand war vielleicht ein ideales Festivalkino mit 900 Platzen, wurde aber auch 2004 abgerissen. Im Osten Berlins, in Friedrichshain gab es das wunderschöne Kosmos, das ebenfalls Mitte der 2000er Jahre geschlossen wurde. Übrig bleibt also nur das International in Berlin-Mitte, das Colosseum und das Delphi. Mit dem Delphi sind eher schöne Kinoerinnerungen verbunden aber dieser einstige Tanzpalast hat bei weitem nicht die vorteilhafte Innenarchitektur, wie sie die oben genannten Kinos hatten.

Der unsägliche Berlinale-Palast macht sich gut auf Fotos, aber wenn man drin sitzt, tritt unverzüglich Ernüchterung ein. Der fasst zwar 1600 Leute, die aber dann sehr eng zusammengepfercht werden und die Leinwandgrösse beträgt kaum mehr als ein Viertel der des Royal-Palastes. Wie die früher verwendete Urania, der heute für Wiederholungen angemietete Friedrichstadt-Palast sind das sehr provisorische bis unmögliche Vorführstätten.

Wenn schon eines der grössten Filmfestivals der Welt hier stattfindet, hätte ein radikaler Denkmalschutz für die wichtigsten und vor allem schönsten Filmtheater der Stadt sehr gut getan.

Zischen diesen Unmöglichkeiten von kaum mehr als provisorischen Vorführorten und dem längst vergangenen Glanz echter Filmtheater gibt es die funktional einwandfreien Kinos im Cinemaxx (hier muss die Tonanlage mal wieder dringend überholt werden) das Cinestar im Sony Center, sowie das neue Arsenal. Man kann zwar von überall aus gut sehen, aber es schlägt einem vor allem architektonische Einfallslosigkeit entgegen. Es sind keine mythischen Orte mehr, sie sind funktional aber bei weitem alles andere als schön. Haben die Kinos, Cinestar 7 und 8 oder Cinemaxx 3 und 7 zumindest von innen noch das Aussehen von echten Kinos manifestiert sich im Cinestar Event Cinema eine weitere Unmöglichkeit, trotz der riesigen Leinwand. Die Leinwand ein völlig sinnloses Breite-Höhe-Verhältnis (etwa 16:9. Dass das Event Cinema nicht nur für Filme sondern für Live-Übertragungen von Konzert oder Sportveranstaltungen is, also vor allem ein Riesenmonitor, fällt vor allem bei Filmen in extremen Breitwandformaten ins Gewicht. Die oben und unten sichtbaren Streifen stören fast mehr als auf dem heimischen Bildschirm.

Parallel zum Wachsen der Berlinale ist das Kinosterben in Berlin unaufhörlich weitergegangen und ein Ende ist noch nicht abzusehen.

 

Seit dem Umzug der Haupfestival-Kinos zum Potsdamer Platz hat sich einiges verändert. Die Illusion, einen Film, der ausser in kommunalen Filmveranstaltungen kaum in den regulären Verleih kommt, in einem richtigen Kino zu sehen, ist verloren. Es ist ein Privileg geworden, diese Filme überhaupt zu sehen. Der Potsdamer Platz gleicht auch mehr einem Grossflughafen, als einem Ort für ein Filmfestival und das Umfeld, ein Einkaufscenter (von denen es in jedem Stadtteil minestens eines gibt) und skandalös überteuerte Restaurants und Kneipen sind nur einige Gründe für die Unmöglichkeit, mich hier wohl zu fühlen.

 

Nein, ein Rückzugsort von der tristen Kinowirklichkeit ist die Berlinale schon lange nicht mehr. Da bleibt mir nichts anderes übrig als mich noch weiter zurückzuziehen, nämlich auf einzelne Filme.

In den letzten 12 Jahren kann ich mich nur an zwei Filme erinnern (Wettbewerb bzw. Ausser Konkurrenz), die es wert waren mich in den Berlinale-Palast zu zwängen - und das waren Terrence Malick´s skandalös unterschätztes Meisterwerk The New World, 2006 und Yoji Yamada´s wunderbarer Film Kaabee (Kabei-Our Mother), 2008. Das waren Filme von alten Meistern, die so stark waren, dass man alles um sich herum vergessen konnte.

 

Mit wenigen Ausnahmen konzentriere ich mich seit Jahren auf das Programm des Internationalen Forums. Das hat im Laufe der Zeit auch ein wenig an Vielfältigkeit, unter anderem ist die Auswahl an Filmen aus Südasien zunehmend schlechter geworden bis kaum vorhanden und das gilt besonders für Indien. Der letzte grosse Film aus Indien, das war 2005 Shonali Bose´s Amu. Immerhin ist Indien immer noch eines der interessantesten Filmländer Asiens und trotz der repressiven Bollywood-Industrie von bemerkenswerter Vielfalt.

 

Aber mit einzelnen Filmen bin ich im Forum immer noch besser bedient als anderswo auf der Berlinale. Allein Yang Yonghi, die in Japan aufgewachsene Koreanerin ist für mich die grösste Entdeckung des Forums seit vielen Jahren und es ist für mich schon fast zu einer Tradition geworden, mir ihre Filme dreimal auf dem gleichen Festival anzusehen. Kazoku no kuni war einer dieser Filme, die ich sonst nicht gesehen hätte und der mir den ganzen Rest des letzten Jahres auch nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist.

In diesem Jahr waren es beispielsweise Sirley – Visions of Reality von Gustav Deutsch, Le Météore von François Delisle und I used to be darker von Matt Porterfield. Das sind moderne, zeitgenössische Filme und doch korrespondieren sie mir der grossen Vergangenheit des Kinos; Deutsch schon allein in seiner Hommage an Hopper , inspiriert durch 13 seiner berühmten Gemälde. Und immerhin, nach Filmen von Catherine Martin und Richard Brouillette´s L´Encerclement hat das Forum mit François Delisle eine weitere Schlüsselfigur des Unabhängigen Kinos in Quebec entdeckt. Besser zu spät als nie.

 

Und Filmgeschichte findet seit Jahren eigentlich auch nur im Forum statt. Die Entdeckungen japanischer Meister, die ausserhalb Japans wenig oder überhaupt nicht bekannt, wie Hiroshi Shimizu, Minoru Shibuya, Yasujiro Shimazu oder in diesem Jahr Keisuke Kinoshita, ist der westliche filmhistorische Horizont um so vieles weiter geworden. Und nicht zu vergessen sind die kleine Reihe mit Filmen aus Kambodscha im letzten Jahr oder in diesem Jahr die mit Musik und traditionellem Stummfilmerzähler begleitete Aufführung des Films Cheongchun-eui sipjaro von Ahn Jong-hwa, einem vergessenen Regisseur der Frühgeschichte des Koreanischen Kinos. So detailiert die Rekonstruktion einer koreanischen Stummfilmaufführung war, desto mehr erinnert sie uns aber auch an die Vergänglichkeit von Kino und Filmgeschichte. Kino ist eben eine sehr zerbrechliche Angelegenheit. Da gibt es zum einen das technische Problem Filme zu erhalten und zugänglich zu machen. Die Auflistung von Filmen die unwiederbringlich verloren sind ist lang, die Liste von vom Zerfall bedrohten Filmen ebenso – und das betrifft auch Filme, die nicht einmal 30 Jahre alt sind.

 

Irgendwie zwischen dieser Stummfilmaufführung im Forum und zwischen einer Szene aus Shirley-Visions of Reality finde ich meine Empfindungen für diese Veranstaltung, die sich Berlinale nennt, wieder: Eine Szene aus dem Film von Gustav Deutsch ist dem Gemälde “Intermission” von Hopper nachempfunden. Eine Frau allein in einem fast leeren Filmtheater von der Seite gesehen und sehr nahe an der Leinwand, die wir eher ahnen als sehen. Wir hören ihren Malick-artigen Monolog über ihre eigenen Gedanken, eine Erfindung des Filmemachers. Die Frau ist berührt von dem Film und gleichermassen von Gedanken über ihr eigenes Leben. Die Leinwand, die wir nicht sehen ist gleichzeitig ein Projektionsfeld ihrer Träume, die mit ihrem Tod verschwinden werden. Den französischen Film, den sie sieht, wird es vielleicht noch geben, die Frau mit allem was sie bewegt und beschäftigt hat, wird vergessen sein, allenfalls ein Bild von ihr wird eine Ahnung von ihrer Individualität geben.

Es geht mir so, wie bei dem Koreanischen Stummfilm und bei den wunderbaren Filmen des Japaners Keisuke Kinoshita. Mit viel Glück sind diese Filme erhalten worden, die überwiegende Mehrheit der Menschen, die diese Filme geliebt – ja und auch mit ihnen gelebt haben, gibt es nicht mehr.

Diese seltsam berührende Szene aus dem Film von Gustav Deutsch, die von Ozu und Malick gleichermassen stammen könnte, habe ich mir angeeignet. Ich habe eine Frau gesehen, die sich gerade einen Film ansieht, die genau das macht, was ich in dem Moment auch getan habe. Dieses Absorbiert sein von einem Film und dabei gleichzeitig über sein Leben nachzudenken,haben wir gemeinsam.

 

Rüdiger Tomczak

 

über Shirley-Visions of Reality gibt es einen englischen Text in meinem Blog.

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