Once again (Eine Liebe in Mumbai) von Kanwal Sethi, Indien/Deutschland/Österreich: 2018
In der letzten Zeit, da begegnet man vielen interessanten Filmen, die nur begrenzt in den Verleih kommen, nur durch ein paar Kinos touren oder noch schlimmer – sie werden von Streamingplattformen geschluckt und gelangen gar nicht erst auf die große Leinwand. Daß der zweite Film des jungen, in Deutschland lebenden Inders Kanwal Sethi Once again tatsächlich in die deutschen Kinos gelangt, ist da schon fast eine Sensation.
In den letzten Jahren bin ich einigen Filmen begegnet, die stark genug sind, um für sich selbst zu stehen, die aber auch gleichzeitig die Größe des Kinos und seiner Geschichte feiern, unabhängig von dem Teil der Welt von dem sie erzählen oder in dem sie produziert wurden.
Once again gehört zu den Filmen, die alltägliche Geschichten erzählen und der Film erinnert mich vor allem an die stilisierten japanischen Alltagsgeschichten von alten Meistern wie Yasujiro Ozu oder Mikio Naruse. Auf den ersten Blick bleibt der Stil verborgen hinter einer bestechenden Einfachheit, als würde der Film wie von selbst entstehen. Bei näherem Hinsehen aber kommt man zu dem Schluss daß diese vermeintliche Einfachheit vor allem eines der schwierigsten und kultiviertesten ästhetischen Prinzipien des Kinos ist.
Dabei lässt sich die die Geschichte von Once again (auch das hat der Film mit den Filmen von Ozu oder Naruse gemein) in einem Satz zusammenfassen: Ein alternder Bollywoodstar verliebt sich in eine verwitwete Restaurantbesitzerin. Aber wenn es darum geht die formale Finesse und all die unterschiedlichen Gefühle, Stimmungen und Ideen zu beschreiben, die der Film hervorruft, dann kommt man kaum umhin über das Kino zu philosophieren.
Ein großer Teil der Dialoge sind Telefongespräche zwischen zwei Menschen mittleren Alters: dem geschiedenen Filmstar Amar (Neeraij Kabi) und der Witwe Tara (Shefali Shah). Manchmal sieht man sie telefonieren, ein anderes Mal erscheinen die Telefongespräche als Off-Stimmen – völlig unabhängig von den Aktionen der Protagonisten. Once again ist auch ein „Stadtfilm“ wie es viele Filme von Ozu aber auch von Rudolf Thome sind. In diesem Fall geht es um Mumbai. Alte und moderne Gebäude, überfüllte Strassen, Imbissbuden und Teestände verweisen auf einen Ort, der auch unabhängig von der Fiktion des Films existiert. So erscheint die Fiktion auch manchmal hauchdünn und zart, daß man fürchten muß, sie werde in dem Mikrokosmos Mumbai verschwinden. Aber diese Furcht, dieses Empfinden von Flüchtigkeit schärft zugleich die Aufmerksamkeit für die kleinsten Details. Die Charaktere erklären sich nicht nur in Worten. Man muss ihnen zusehen und ihren Konversationen lauschen, die mit einer stilisierten schon fast „japanischen“ Langsamkeit stattfinden. Die Aufmerksamkeit, die der Film fordert, wird sofort belohnt mit Momenten von außerordentlicher Schönheit und Poesie, die man in diesem scheinbar sehr nüchtern inszeniertem Film nicht so ohne Weiteres vermuten würde. Die Wunder, die dieser Film bietet scheinen regelrecht und auf mysteriöse Weise dem eher traurigen Alltag der zwei sehr einsamen Protagonisten zu entwachsen.
Und es sind oft kleine Ereignisse, die ganz unerwartet eine grosse Intensität entfalten.
In einem dieser Momente besucht Tara Amar in seinem luxuriösen Apartment und bringt ihm etwas von ihrem Restaurant zu essen. Freunde und Kollegen des Schauspielers sind zu Besuch und in einem Moment von Umaufmerksamkeit stellt Amar Tara als eine Frau vor, die „für ihn kocht“. Dieser ungeschickten Bemerkung folgt eine Grossaufnahme von Shefali Shah. Man bekommt eine Ahnung, was Tara in dem Moment empfindet, ohne daß sie es selbst in Worten ausdrücken könnte. Auch das ist wie in den Filmen Ozus, in dem Augenblicke zu reinem Kino werden und eine mysteriöse emotionale Kraft entfalten.
Eine anderer bewegender Moment ist ein Gespräch zwischen Amar und seinem Fahrer. Amar erfährt daß der Chauffeur von seiner Frau und seinen Kindern verlassen wurde, da er nie zu Hause war und immer für Amar unterwegs war. In einer plötzlichen Anwandlung von Mitgefühl umarmt Amar seinen Fahrer.
Ein Blick auf das Meer von Amar´s Apartment aus gesehen. Es ist bereits dunkel und künstliches Licht beleuchtet den Ausblick. Da ist nichts idyllisches in diesem Blick. Der Ausblick aus diesem teuren Apartment erscheint so leer wie ein verlassenes Filmset. Der berühmte Bollywood-Star erscheint fast selbst wie der traurige Geist, den er in einem seiner letzten Filme spielen muss.
Wenn ein Paparazzi-Fotograf zufällig Amar und Tara bei einem ihrer geheimen Ausflügen überrascht und fotografiert, hat das Auswirkungen, vor allem auf Tara´s Kinder. Besonders Tara´s Sohn hat kein Verständnis für die Sehnsüchte seiner verwitweten Mutter. Das ist ein ganz wichtiger Moment in dem der Film sich für eine Abzweigung entscheiden muss: Drama oder nicht Drama. Es ist ein Konflikt, den man aus zwei sehr unterschiedlichen Meisterwerken kennt, dem Melodrama All that Heaven allows von Douglas Sirk und Akibiyori von Yasujiro Ozu. Hier scheint sich Kanwal Sethi für die undramatische „Ozu-Option“ entschieden zu haben, einer Option die das melodramatische Potential der Geschichte entschärft und vor allem auf die Aufmerksamkeit des Zuschauers baut. Beide Möglichkeiten rufen Gefühle hervor aber Ozu´s and Sethi´s Ansatz beginnt erst einmal mit einer sehr nüchternen Beobachtung seiner Figuren im Kontext bestimmter sozialer und kultureller Bedingungen, in denen sie existieren. Der Konflikt zwischen individuellen Sehnsüchten und Wünschen mit den sozialen Zwängen, denen die Figuren ausgesetzt sind erscheint als etwas, das sehr genau gesehen wurde bevor es inszeniert wurde.
Erwartungen und Sehnsüchte der Menschen werden sehr oft kontrastiert mit der Gleichgültigkeit einer Grossstadt und erscheinen fast als Subversion gegen oft herzlose und unsinnige soziale Regeln.
Die magischen Momente des Films bekommt man nicht auf einem silbernen Tablett serviert. Man muss nach Nuancen suchen, manchmal nur ein wenige Sekunden langer Augenblick, eine Geste oder ein flüchtiger Gesichtsausdruck.
Einmal treffen sich Amar und Tara in dem grossen Apartment des Filmstars. Er versucht ihr seine Gefühle für sie zu eröffnen. Für einen Moment falten sich die Hände der beiden ineinander. Aber wenn Amar dann zugibt, dass er sich nicht sicher ist, ob er bereit für eine neue Beziehung ist, trennen sich die Hände wieder ganz plötzlich.
Es gibt Momente, die lassen ein Glück erahnen, besonders die kleinen Ausflüge im nächtlichen Mumbai oder der Besuch einer Schattenspielvorführung. Sie bleiben flüchtig und sind doch unvergesslich kleine filmische Wunder.
Da die meisten Szenen in der Nacht und unter spärlichem Lampenlicht stattfinden, erscheint der Film selbst sehr zerbrechlich und immer in der Gefahr, in der Dunkelheit zu verschwinden. Das gleiche gilt für die Dialoge zwischen Tara und Amar. Sie reden meistens sehr leise und langsam. Vor, zwischen und nach dem Gesprochenen ist immer die Präsenz des Schweigens fühlbar.
In all seiner oft schmerzhaften Genauigkeit in der Beobachtung und seiner formalen Klarheit verrät der Film niemals die Sehnsüchten und Träume seiner Protagonisten. Auch das hat der Film mit dem poetischen Minimalismus von Ozu oder Naruse gemein.
Once again, der wunderschöne Film von Kanwal Sethi bestätigt einmal mehr, daß die ungeheure Vitalität des zeitgenössischen Indischen Kinos außerhalb Bollywoods hierzulande immer noch viel zu wenig beachtet wird und ist somit eine willkommene Bereicherung für die deutsche Kinolandschaft.
Rüdiger Tomczak
(Der Text basiert im Wesentlichen auf meiner englischen Kritik in meinem Blog. Once again – Eine Liebe in Mumbai) kommt am 16. Mai in die deutschen Kinos, Verleih Arsenal, Tübingen).